Kontext

Sinn für Nuancierung und Verantwortung

Die Regierung verfolgt seit drei Jahren eine humane und strikte Migrationspolitik.

 

In Belgien gibt es keinen Dschungel von Calais auf dem Weg nach Großbritannien. Es wird alles getan, um das zu vermeiden.

 

Es gibt keine aus der Kontrolle geratene Situation wie in anderen Ländern. Diese gefährdet den sozialen Zusammenhalt und fördert sämtliche Formen des Extremismus.

 

Die Regierung ist ihrer Verantwortung gerecht geworden. Wir nehmen die Menschen auf, die einen Anspruch auf Asyl haben. Und auf europäischer Ebene arbeiten wir daran, die Grenzen zu kontrollieren und eine Sogwirkung zu vermeiden, die schnell unüberschaubar wird.

 

Trotz der schweren Asylkrise seit 2015 ist die Situation in unserem Land unter Kontrolle geblieben.

 

Dies ist das Ergebnis des koordinierten und entschlossenen Handelns der Regierung und aller Verwaltungs- und Polizeidienste.

 

Belgien ist nach Kräften bestrebt, die europäischen und internationalen Verpflichtungen zu respektieren.

 

Die verfolgte Politik ist human, sie stützt sich dabei auf die Achtung der Entscheidungen der Verwaltungs- und ordentlichen Gerichtsbarkeit.

 

Aufgrund der wiederkehrenden Desinformationskampagnen möchte ich hiermit einiges klarstellen. Ich habe mich bewusst dafür entschieden, dies mit der nötigen Distanz zu tun.

 

Die Abschiebepolitik, insbesondere in den Sudan, ist ein heikles Thema, das eine Nuancierung erforderlich macht. Sie verdient keine Vereinfachungen oder Karikaturen in dem einen oder anderen Sinne.

 

Ich möchte hier einige Wahrheiten wiederherstellen, die sehr weit von der Wahrnehmung entfernt sind, die einige zu schaffen versuchen.

 

- Zum Ersten ist dies ein europäisches Problem. Viele Länder verfolgen die gleiche Politik. Großbritannien, Frankreich, Italien und Norwegen organisieren regelmäßig technische Identifizierungen in Zusammenarbeit mit dem Sudan. 2016 hat Italien 40 sudanesische Staatsangehörige, Schweden 15 und Irland 5 zurückgeschickt. Norwegen hat 2015 und 2016 60 Personen abgeschoben (Quelle: Eurostat). Das Hohe Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen (UNHCR) hat im Dezember mit freiwilligen Rückführungen in den Sudan begonnen und berichtet, dass es direkt mit der sudanesischen Regierung zusammenarbeitet, um diese Wiedereingliederungsmaßnahmen zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen (Quelle: UNHCR).

 

- Darüber hinaus handelt es sich stets, sowohl in verfahrensrechtlicher als auch in allgemeinrechtlicher Hinsicht, um Einzelfallentscheidungen, die sich auf den individuellen Fall der betroffenen Person und ihre persönlichen Umstände stützen.

 

Die Abschiebungsentscheidungen werden vom Ausländeramt getroffen. Bei dieser Gelegenheit muss das Amt eine Risikoanalyse in Bezug auf eine mögliche Verletzung von Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) durchführen, die eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung verbietet. Jede Rückführung muss Gegenstand einer Konformitätsstudie im Hinblick auf Artikel 3 der EMRK sein, wie vom Generaldirektor des Ausländeramts bestätigt wurde. Er betonte auch, dass es keine Abschiebungen in Gebiete gibt, die das Ausländeramt als gefährlich erachtet.

 

Konkret hat das Ausländeramt nach der technischen Identifizierung beschlossen, neun sudanesische Staatsangehörige abzuschieben (eine freiwillige Rückkehr, drei unbegleitete und fünf begleitete Personen).

 

- Die Entscheidungen können vor unabhängigen Gerichten angefochten werden. Eine Person, die Gegenstand einer Ausweisung ist, kann sich an den Rat für Ausländerstreitsachen wenden. Im Falle einer Dringlichkeitsbeschwerde wird der Abschiebungsbescheid ausgesetzt. Wenn die Person erklärt, Angst vor Repressalien bei ihrer Rückkehr in ihr Herkunftsland zu haben, kann sie auch nach einer Rückführungsentscheidung der Ausländerbehörde und nach ihrer Identifizierung einen Asylantrag stellen, was die Aussetzung der Abschiebung zur Folge hat.

 

Am 20. Dezember letzten Jahres gab das Berufungsgericht von Lüttich dem Staat Recht, indem es einen erstinstanzlichen, auf Betreiben der Liga für Menschenrechte zustande gekommenen Beschluss aufhob, der es dem belgischen Staat verbot, Sudanesen in ihr Herkunftsland abzuschieben.

 

- Der Generalkommissar für Flüchtlinge und Staatenlose hat in einer jüngsten Note vom Oktober die besondere Situation des Sudan analysiert. Diese Note ist weitaus nuancierter als die einseitige Auslegung, die in sie hineininterpretiert wurde. Zum einen unterscheidet sie zwischen verschiedenen Vorgängen bei Personen sudanesischen Ursprungs und zeigt die Verfahrensweise zu jedem Einzelfall auf. Im Wesentlichen wird für 11 Staaten (Provinzen) kein subsidiärer Schutz gewährt, dies ist der größte Teil des sudanesischen Staatsgebiets. Aber ein Sudanese, der sich auf seine individuelle Angst beruft, kann wie alle anderen Staatsangehörigen den Flüchtlingsstatus erlangen.

Aus dieser Note geht also hervor, dass nicht jede Person sudanesischer Herkunft automatisch Anspruch auf internationalen Schutz hat. Als Beweis sei angeführt, dass die Anerkennungsquote für Sudanesen im Jahr 2017 bei 54,7 % lag.

Wie die Note auch zeigt, prüft das Generalkommissariat für Flüchtlinge und Staatenlose in einigen Fällen die Frage einer Asylalternative in anderen Regionen des Sudan. Dies beweist zudem, dass sich die Konfliktsituation nicht über das gesamte Staatsgebiet erstreckt, sondern nur bestimmte Regionen des Landes betrifft.

 

 - Die Betroffenen, die in den meisten Fällen von skrupellosen Schleppern betrogen wurden, wollen in Belgien keinen Asylantrag stellen, weil sie weiter nach Großbritannien wollen. In einigen Fällen würde die Stellung eines Asylantrags gemäß dem Dublin-Abkommen eine Rückkehr nach Italien bedeuten, das in bestimmten Fällen auch die Rückführung in den Sudan zulässt.

 

- Schließlich trägt Belgien einen erheblichen Teil zur Solidarität bei, stets aus Sorge um Würde und Menschlichkeit. So hat Belgien:

-  10 783 Personen in 2015, 

-  15 478 Personen in 2016, 

-  12 679 Personen von Januar bis November 2017

 internationalen Schutz gewährt (Quelle: Generalkommissariat für Flüchtlinge und Staatenlose). Darüber hinaus hat die Regierung in drei Jahren mehr humanitäre Visa ausgestellt als in früheren Legislaturperioden: 1 616 Personen in 2017 bis Ende September, 1 185 in 2016; 849 in 2015 (gegenüber 208 Personen in 2014; 270 in 2013; 211 in 2012; 270 in 2011 und 357 in 2010).

 

Dies sind objektive Elemente, die weit entfernt von den diversen Karikaturen und Vereinfachungen sind, die dem Image und der Glaubwürdigkeit unseres Landes schaden können. Wann immer ich es für notwendig erachtete, habe ich an dieses Erfordernis der Verantwortung und Nuancierung appelliert, wobei das sowohl für die Opposition als auch für die Regierungsmehrheit gilt.

 

Im Jahr 2016 führte ein weiterer Migrationsfall bereits zu heftigen Debatten mit schweren Angriffen auf die Regierung. Eine syrische Familie hatte ein Visum für einen kurzfristigen Aufenthalt mit der ausdrücklichen Begründung beantragt, sie beabsichtige, nach Belgien zu kommen, um hier einen Asylantrag zu stellen. In einem ähnlichen Fall hatte der Gerichtshof der Europäischen Union im März 2017 eine Entscheidung getroffen, die den Standpunkt der belgischen Regierung uneingeschränkt unterstützt. Die Europäische Kommission und 13 europäische Staaten haben Belgien zudem bei diesem Verfahren unterstützt. Dieser Entscheidung folgte ... ein ohrenbetäubendes Schweigen seitens der Akteure und Kommentatoren, die einige Wochen zuvor die Polemik gegen die Regierung nach Kräften angeheizt hatten.

 

Die Presse hat über Misshandlungen und Folter bei der Rückkehr in den Sudan berichtet. Angesichts der Schwere dieser Vorwürfe wurde sofort entschieden, eine Untersuchung einzuleiten. Diese muss unabhängig sein und eine europäische bzw. internationale Dimension haben. Es geht darum, sich Klarheit zu verschaffen und dem Parlament transparente Informationen an die Hand zu geben. Logischerweise können die politischen Beurteilungen erst nach dem Ergebnis dieser Untersuchung in Kenntnis der Sachlage bewertet werden. Bis zur Vorlage der für diesen Monat erwarteten Ergebnisse habe ich angeordnet, keine Rückführungen in den Sudan vorzunehmen.

 

Ich möchte auch die Arbeit der verschiedenen Verwaltungs-, Justiz- und Polizeidienste würdigen, die täglich mit oft schmerzhaften und komplexen menschlichen Situationen konfrontiert werden. Ich weiß, dass sie auf die korrekte Anwendung der belgischen, europäischen und internationalen Gesetze achten. Sie sind die treibende Kraft unseres Rechtsstaats.

 

Die Würde der beteiligten Personen muss der Kern aller Entscheidungen sein. Getragen von der Sorge um Gerechtigkeit und Menschlichkeit.

 

In diesem Zusammenhang berichtet die Regierung wöchentlich dem Parlament.

 

Wir werden am Kurs für eine menschliche und strikte Politik festhalten. Mit dem Sinn für Nuancierung und Verantwortung.

 

Sie können auf meine Entschlossenheit zählen.

 

Charles Michel

Premierminister