Reden

Ansprache vor der 71. Generalversammlung der Vereinten Nationen

Herr Präsident,

Meine Damen und Herren Delegationsleiter und -leiterinnen,

 

 „Alleine kann niemand von uns erfolgreich sein“, erklärte Nelson Mandela. Wir müssen gemeinsam entscheiden und handeln. Gemeinsam können wir die richtigen Antworten auf die sich uns stellenden Herausforderungen finden. Es liegt in unserer Verantwortung, jedem Kind, Mädchen oder Jungen, die Schlüssel zu seiner eigenen Emanzipation anheimzugeben.

 

Jede Frau, jeder Mann kann ungeachtet ihrer oder seiner Herkunft die universellen Rechte geltend machen. Ein jeder muss lernen, arbeiten, sich behandeln lassen und seine Kinder in Frieden und Sicherheit aufziehen können. Der technologische, medizinische und soziale Fortschritt muss geteilt werden. Und nicht allein die Domäne von einigen wenigen Privilegierten bleiben.

 

Dem muss unser Bestreben und unser gemeinsamer Einsatz gelten.

Wir kennen den Weg, um dieses Ziel zu erreichen. Seit 1948 steht es so in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Die universellen Werte müssen für uns alle ein kontinuierliches Licht darstellen, das den Weg der Humanität erhellt.

 

Von der Achtung der Menschenrechte, des Rechtsstaats und der Demokratie darf es keine Ausnahmen geben, weder dürfen sie angepasst werden, noch kann man auf sie verzichten.

 

Doch sehen wir der Wahrheit ins Gesicht. Die Gleichstellung von Männern und Frauen ist noch immer keine Realität. Die freie Meinungsäußerung und die Pressefreiheit werden noch zu oft missachtet. In bestimmten Ländern ist Homophobie legal, gelegentlich wird sie sogar durch die jüngste Gesetzgebung gefördert. Zu oft ist der Rechtsstaat nichts mehr als ein Schutzschirm und die Justiz bietet keine Rechtswege, sondern ist vielmehr für Bürger und Unternehmen eine Bedrohung.

 

Herr Präsident,

 

Der afrikanische Kontinent bietet eine Vielzahl an Stärken und Talenten. Sein Potenzial ist immens. Die Geschichte Europas und Afrikas ist zutiefst miteinander verknüpft. Und unsere Zukunft kann natürlich nur eine gemeinsame sein.

 

Wir alle müssen uns für die Förderung und Unterstützung der Entwicklung Afrikas einsetzen. Zunächst dank eines gerechter verteilten Wirtschaftswachstums und der Entstehung einer Mittelschicht.

 

Ich plädiere für eine verantwortungsvolle gleichberechtigte und ehrliche Partnerschaft mit Afrika im Sinne einer Win-Win-Situation.

Ohne Nostalgie, ohne Schuldgefühle.

 

Ich bin zutiefst davon überzeugt – und die Geschichte hat dies stets bestätigt – dass der Ausbau der demokratischen Rechte und der persönlichen Freiheiten parallel zur Entwicklung und Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschen erfolgt.

In den vergangenen Jahren entstanden in Afrika mehrere erfolgreiche Demokratien. Das ist in erster Linie den Menschen vor Ort zu verdanken, die am politischen Prozess und am Wahlverfahren mitgewirkt haben. Damit wurden ihre demokratischen Institutionen und ihre Souveränität gestärkt.

 

Leider – und noch viel zu oft – dürfen bestimmte Bürger ihr Grundrecht auf die Wahl ihrer Vertreter nicht ausüben.

 

„Will man friedliche Revolutionen ersticken, so werden gewalttätige Revolutionen unvermeidlich“, erklärte Kennedy. Eine friedliche Revolution ist eine ehrliche Wahl. Regierungen legitimieren sich allein an der Urne

 

Die Forderungen des Rechtsstaats, und damit die der Verfassungen, einzuhalten, ist die einzige Möglichkeit, um Stabilität und demokratische Harmonie zu gewährleisten.

 

Dieses Recht wurde den Menschen in Burundi abgesprochen. Und das Ergebnis waren Zwietracht, Spaltung und gar Unterdrückung. Die einzige Lösung dieser Krise ist ein alle Parteien einschließender innerburundischer Dialog unter internationaler Vermittlung im Sinne des Arusha-Abkommens.

 

In der Demokratischen Republik Kongo ist die Durchführung von Wahlen unverzichtbar. Alle diesbezüglichen Zweifel müssen ausgeräumt werden.

 

Ich verurteile ausdrücklich jegliche Form von Gewalt, einschließlich die Gewaltausbrüche der letzten Tage, deren Zeuge wir wurden. Wenn man öffentliche Funktionen bekleidet, muss man individuell und in vollem Umfang hierfür Verantwortung übernehmen.

 

Wir respektieren das Prinzip der Souveränität. Allerdings unter der Voraussetzung, dass die Souveränität nicht allein dazu dient, die rechtsstaatlichen Prinzipien und die Grundrechte auszuhebeln.

 

Ich appelliere an die politischen Verantwortungsträger von Mehrheit und Opposition. Vermeiden Sie eine Eskalation. Der Dialog muss offen geführt werden und unter Einschluss aller Beteiligten. Werden Sie Ihrem Land und seinem Volk gerecht.

 

Seien wir ehrlich. Der einzige Weg zur Stabilität ist ein genauer Zeitpunkt für offene und glaubwürdige Wahlen. Und das so schnell wie möglich.

 

Herr Präsident,

 

wir müssen anerkennen, dass die Situation in Syrien bislang ein Scheitern der internationalen Gemeinschaft darstellt. Ein Land in Schutt und Asche. Unbeschreibbare Leiden und Scharen von Flüchtlingen, die aus ihrem Lebensumfeld herausgerissen wurden.

 

Wir dürfen es nicht hinnehmen, dass dieses Chaos in Syrien geostrategischen Interessen dient, die fernab von denen der Syrer und ihrer Zukunft liegen. Wir dürfen es nicht hinnehmen, dass die blutrünstige Hartnäckigkeit eines Einzigen ein Hindernis für eine politische Lösung und den Frieden bildet.

Wir unterstützen den Sonderbeauftragten Staffan de Mistura.

Wir appellieren an alle ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats, ihre Verantwortung wahrzunehmen. Das internationale Völkerrecht darf nicht ungestraft missachtet werden.

 

Herr Präsident,

 

Mit dem Islamischen Staat ebenso wie mit Al Qaida, Boka Haram oder Aqmi … haben wir es in Wirklichkeit mit einer neuen Form des Totalitarismus zu tun.

 

Dabei geht es um Fanatismus und die Negierung menschlichen Lebens schlechthin. Die Freiheit soll zerstört werden. Dabei setzen sie auf Barbarei und Terror. Mein Land, wie viele andere auch, wurde davon im vergangenen März tragisch getroffen.

Es ist ein gemeinsamer Kampf, den wir gegen den Terrorismus führen müssen. Ohne Konzessionen und unerbittlich.

 

Wir unterstützen den Plan des Generalsekretärs zur Bekämpfung des gewalttätigen Extremismus. Doch wir müssen mehr tun und das besser. Wir müssen vor allem den Daten- und Nachrichtenaustausch systematisieren, um derartig barbarische Akte vermeiden zu können.

Die Freiheit muss stärker sein als die Dunkelheit.

Herr Präsident, meine Damen und Herren,

 

weltweit gibt es 65 Millionen Frauen und Männer die auf der Flucht bzw. vertrieben sind. Länder wie Jordanien, der Libanon oder die Türkei stehen bei der Aufnahme der zahlreichen Flüchtlinge mitsamt den damit einhergehenden Problemen an vorderster Front.

 

Alle Kontinente sind betroffen. Wir kennen die Ursachen: Kriege, Armut, Klimawandel. Frieden und Entwicklung sind selbstverständlich die beste Antwort.

 

Wir müssen auch die Würde eines jeden Menschen garantieren. Und uns dabei ganz besonders um die Schwächsten, die Frauen und Kinder, kümmern.

 

Herr Präsident,

 

der politische Dialog und internationale Verhandlungen sind langwierige Prozesse, die oft zu lange dauern und zahlreiche Hindernisse in sich bergen. Mit Fortschritten und mit Rückschritten zurück. Dies ist oft der Nährboden für Frustration, gelegentlich sogar für ein Gefühl der Machtlosigkeit.

 

Dennoch teile ich mit Ihnen die Überzeugung, dass der politische Dialog unter Einbeziehung aller Beteiligten der sicherste Weg ist, um zu nachhaltigen Lösungen zu gelangen.

 

Und wir dürfen auch die Erfolge der Diplomatie nicht außer Acht lassen. Das Friedensabkommen zwischen der kolumbianischen Regierung und den FARC, die Bildung einer Regierung für Libyen, das Atomabkommen mit dem Iran, die diplomatische Annäherung zwischen Kuba und den USA oder die Bekämpfung von Ebola ... All dies sind Fortschritte und Erfolge. Das Ergebnis dieser Bemühungen sind ein besseres, sichereres Leben für Millionen von Menschen.

 

Herr Präsident,

 

„Gewinner sind Träumer, die ihren Traum nie aufgegeben haben“, sagte Nelson Mandela. Ich glaube auch, dass Mut und Beharrlichkeit die Schlüssel auf dem Weg zu Frieden und zu einer sichereren und gerechteren Welt sind.

 

Die Hoffnung niemals aufgeben und fatales Denken zurückweisen. Dies muss der Geist unseres Handelns sein.

Die gegenwärtige Situation in Israel und Palästina zeigt einmal mehr, wie dringend notwendig die Wiederaufnahme des Friedensprozesses ist, um zu einer definitiven Lösung des Konflikts zu gelangen.

 

Wir befürworten die Zweistaatenlösung. Doch angesichts der derzeitigen Umstände läuft diese Perspektive ohne eine fundamentale Änderung Gefahr, unwiederbringlich verloren zu gehen. Es gilt diejenigen Initiativen, die eine solche Lösung unmöglich machen, zu beenden. Wir verurteilen die Fortführung des Baus von Siedlungen in den besetzten Gebieten.

Und zugleich sind wir fest entschlossen, uns mit allem Nachdruck für die Sicherheit Israels einzusetzen. Diese muss gewährleistet sein.

Wir unterstützen die französische Initiative zur Wiederaufnahme der Verhandlungen. Die Palästinenser müssen auch ihren eigenen Dialog voranbringen. Das ist ein unverzichtbarer Schritt.

 

Herr Präsident, meine Damen und Herren,

 

das internationale Recht darf sich nicht als das Recht des Stärkeren erweisen. An den Grenzen Europas wurde gegen die territoriale Unverletzlichkeit mehrerer Länder durch ein einziges Land verstoßen.

 

Es ist nicht hinzunehmen, dass Konflikte geschürt werden, um nostalgische Gefühle vergangener Größe zu bedienen. Ich plädiere für die Aufgabe des Konfrontationskurses gegenüber Russland. Wir haben zu viele gemeinsame Interessen, um uns den Luxus eines diplomatischen Stillstands erlauben zu können.

 

Herr Präsident,

 

in den letzten Jahren haben wir große Fortschritte bei der Bekämpfung von Armut oder auch bei der Verbesserung des Zugangs zur medizinischen Grundversorgung gemacht. Aber es bleibt noch so viel zu tun.

 

Die Ziele der nachhaltigen Entwicklung und das Pariser Klimaabkommen bieten einen proaktiven Rahmen. Es liegt an uns, uns mit Kräften um die konkrete Umsetzung zu bemühen. Dies stellt unsere Verpflichtung gegenüber den künftigen Generationen dar. Es ist unsere Pflicht im Interesse eines sichereren und umweltbewussteren Lebensraums.

 

Der wirtschaftliche Austausch, der internationale Handel tragen zu Wachstum und Beschäftigung in der Welt bei. Freies Unternehmertum, Privatinitiative und wirtschaftlicher Austausch sind die Grundlagen jeder Entwicklung. Sie sind der Nährboden für Forschung, technologische Innovationen und medizinischen Fortschritt.

 

Wir müssen Transparenz bei den Steuersystemen und im Bankensektor herstellen. Und alle Formen der Korruption bekämpfen.

 

Der Kapitalismus ist nicht per se tugendhaft. Er bedarf gerechter und transparenter Rahmenbedingungen. Und in vielen Ländern werden Arbeitnehmer nicht angemessen entlohnt.

 

Kapitalismus ist kein Selbstzweck. Er ist ein Instrument, das wir im Dienste der Menschheit beherrschen müssen. Nicht mehr, nicht weniger.

 

Die Weltwirtschaftslage belastet die Haushalte der Staatengemeinschaft. Arbeit wird häufig gegenüber anderen Einnahmequellen zu stark besteuert. Aus diesem Grunde will Belgien mit zehn weiteren Ländern der Europäischen Union ein System zur Besteuerung von Finanztransaktionen ausarbeiten. Wir müssen es schaffen, technische und politische Hemmnisse auszuräumen. Es handelt sich um eine Frage elementarer Gerechtigkeit.

 

Herr Präsident,

 

mein Land ist stolz darauf, universelle Prinzipien und Werte zu verteidigen: Freiheit, Toleranz und Dialogbereitschaft.

 

Wir haben Respekt vor den Traditionen, Kulturen und Identitäten aller Völker dieser Welt. Und wir denken, dass diese universellen Werte eine gemeinsame Grundlage für eine gerechtere, sicherere Welt sind.

 

Wir glauben an den Nutzen des Mulitlateralismus und eines hartnäckigen Strebens nach Konsens im politischen Dialog.

Belgien ist ein aktives, stabiles und loyales Mitglied der internationalen Völkergemeinschaft.

Aus diesem Grunde sind wir Kandidat für einen Sitz als nicht-ständiges Mitglied im Sicherheitsrat 2019-2020. Ich hoffe von Herzen, dass wir auf die Unterstützung sehr vieler Länder bei dieser Wahl zählen können.

 

Ich möchte auch dem Generalsekretär Ban Ki-Moon von ganzem Herzen für seinen Einsatz im Dienste des Friedens und der Sicherheit danken. Seine Intelligenz und Kreativität haben es ihm gestattet, uns ein solides Erbe zu hinterlassen.

 

Bereits an dieser Stelle möchte ich dem Wunsch Ausdruck verleihen, dass sein Nachfolger einen ebenso dynamischen Ansatz verfolgt und sich für die Umsetzung der Ziele im Bereich der nachhaltigen Entwicklung und des Pariser Klimaabkommens engagiert.

 

Ein Politiker sorgt sich um die nächste Wahl, ein Staatsmann handelt, indem er an die nächste Generation denkt. Zeigen wir uns den Hoffnungen unserer Mitbürger gewachsen. Zeigen wir uns den universellen Werten gewachsen. Erweisen wir uns bei unserem Handeln als Staatsmänner.

 

Ich danke Ihnen.